Wenn wir versuchen wollen, die Entwicklung unseres Ortes zu überblicken, müssen wir mit einer Schilderung der damaligen heimatlichen Landschaft beginnen, in der diese eintausend Jahre Geschichte vor sich ging.

Für die älteste geschichtliche Zeit haben wir uns den heimatlichen Raum zwischen der oberen Allerniederung und der Schunter bis zum Dorm als eine nur sehr schwer zugängliche Waldlandschaft vorzustellen, in der Eichen und Buchen, Erlen, Weiden, Birken, Eschen, Haselsträucher und Domgebüsch eine Waldgemeinschaft bildeten, die nur an den Ufern der Aller, Schunter, Uhrau und Scheppau von lichteren Auewäldern und feuchten Wiesen unterbrochen wurde.

In einer Urkunde des Kaisers Otto III. aus dem Jahre 997 wird in diesem Gebiet der ,,Nordwald" mit folgenden Grenzen beschrieben: im Westen die Oker, im Norden die Aller, im Osten eine Linie, die von der Aller nach Fallersleben und weiter nach Hattorf an der Schunter, dann entlang der Straße am rechten Schunterufer nach Ochsendorf und von hier aus die Schunter entlang führt". Die neuere Forschung hält diese Grenzziehung für zu weitgehend, doch die Angabe einer Urkunde aus dem Jahre 1203, nach der Papenrode, Groß Sisbeck und Döhren am Lappwald lagen, mag bestätigen, daß die Bezeichnung ,,Waldland" für dieses Gebiet zu Recht besteht.

Waldfrei und damit siedlungsfreundlich waren in unserer nächsten Umgebung der Südwestabgang des Dormes von der Waldgrenze sanft abfallend zum Schunterlauf und der sich von Groß Steinum über das ,,Knickfeld" bis zum Schwarzen Weg hinzog. Der daran anschließende ,,Lehmberg" mit seinem schweren Boden war mit Eichenmischwald bestanden und ist erst später in Kultur genommen worden. Waldfrei waren auch das Land am erhöhten Uhrauufer von der ,,Masch" bis zur „Rhüme" und das daran anschließende Ackerland zwischen Beienrode, Uhry und der Trendelheide. Am Südwesthang des Dormes finden wir auch die ältesten Spuren menschlicher Siedlungen.

Aus der Jungsteinzeit stammt das Großsteingrab bei Groß-Steinum, aus der Eisenzeit (600 v. Chr.) kommt die Urne, die in der ehemaligen Sandgrube der Kaligewerkschaft gefunden wurde. Dieser letzte Fundplatz bestätigt die Erkenntnis der Siedlungsforscher, daß erhöhte waldfreie Ränder an Flußläufen, die als Terrassen zum Wasserlauf abfallen, selbst dort, wo sie nur in einem schmalen Streifen ausgebildet sind, als Siedlungsstelle von den vorgeschichtlichen Kulturen der Fischer, Jäger und Sammler gewählt wurden. Die Bevorzugung dieser Talränder ist verständlich, denn dort lagen die Siedlungsplätze in der Nähe des lebensnotwendigen Wassers, wurden bei den jahreszeitlichen Überflutungen nicht überschwemmt und waren an den nach Süden oder Südwesten exponierten Hängen auch die wärmsten Plätze.

In der Eisenzeit wurde unser Heimatraum das Siedlungsgebiet der so genannten Weserkultur. Ihr Wanderweg zieht sich von der mittleren Weser und der unteren Leine ins südliche Allertal bis in die Gegend nördlich Königslutter, Beienrode, Ochsendorf und Rieseberg. Diese Gruppe, die vom Wesergebiet in das heute braunschweigische Land vorstieß, wählte nach der Ansicht Tode's ihrem Herkunftsgebiet entsprechend die leichten Sand- und Mittelböden als Siedlungsareal. ,,Hier haben wir es mit westgermanischen Viehzuchtbauern zu tun, für die weiträumige Wiesen und Auewälder den gewohnten Lebensraum darstellen" (Tode, 1950, S.19). Sie werden hier bis zu der Völkerwanderungszeit gelebt haben.

Um die Mitte des ersten Jahrtausends wurde es unruhig im germanischen Siedlungsraum Europas, denn die hier wohnenden Völker waren in Bewegung geraten. Eine der Ursachen dafür war sicher die Klimaverschlechterung in Nord- und an den Küsten Mitteleuropas, die die aus dem Norden und den Regengebieten kommenden Germanen zwang, klimatisch günstigere Landstriche im südwestlichen, südlichen und südöstlichen Europa aufzusuchen. Im unendlich weiten Waldland Mitteleuropas, in dem Völker, die nicht roden und keine Sümpfe trockenlegen wollten, keine Lebensmöglichkeiten hatten, begann eine Zeit der Unruhe und Unsicherheit mit dem Umherwandern der einzelnen Stämme, der versuchten Ansiedlung und den Streitigkeiten der Unzufriedenen untereinander.

Gegen Ende des 6. Jahrhunderts setzten sich auch slawische Völker gen Westen in Bewegung. Als diese beiden großen Völkermassen zum Stillstand kamen, bildeten Elbe und Saale die Grenze zwischen ihnen. Westlich dieser Grenze saßen die Nachfahren des Römerreiches, östlich die slawischen Völker, deren Felder und Wälder bis in die unendlichen Weiten des asiatischen Zentralraumes reichten, und deren Reichtum dieses weite Land und die Menschenmassen darin waren.

Danach begann jene Zeit in unserer Geschichte, die die Historiker das Mittelalter nennen, jene Zeit, in der das Christentum die Grundlage unserer Kultur zu werden begann. Damals gehörte unser heimatlicher Raum zum großen Stammesgebiet der Sachsen, das vom Rhein bis zur Elbe reichte und drei historische Landschaftsräume umfaßte: Westfalen, Engem und Ostfalen. Dieses Sachsenland war in Gaue eingeteilt. Das waren politisch organisierte Siedlungsgemeinschaften, die bis in die Zeit Karls d. Großen bestehen blieben. Nach der Eingliederung Sachsens in das fränkische Verwaltungssystem verschwand diese altsächsische Gebietseinteilung und wurde durch die fränkische Grafschaftsverfassung ersetzt. Eine Abgrenzung der einzelnen Gaue durch feste Grenzlinien ist erst später entstanden. In vorfränkischer Zeit trennten Grenzräume die einzelnen Gaue voneinander. In unserer engeren Heimat waren solche Grenzräume das Okertal, die unwegsamen Moorgebiete entlang der Aller und Ise, im Osten das Waldgebiet an der Ohre und im Süden das ,,Große Bruch", daß das nördliche Harzvorland vom Harzgebirge trennte.

Vom 8. Jahrhundert an begann die Zeit der größten Siedlungszunahme, die Rodezeit, in den Waldgebieten. Auf den waldfreien Weidestellen begannen die ersten Rodungen, entstanden die ersten Siedlungen. Daß bei dem Suchen nach geeigneten Siedlungsplätzen mancher Rodungsversuch nicht den Wünschen der Siedler entsprach, und die gerodeten Flächen nach den ersten schlechten Ernten enttäuscht verlassen wurden, muß damals oft vorgekommen sein. Karl der Große brachte eine gewisse Ordnung in diese Kulturarbeit, die dem Landesausbau dienen sollte, in dem er durch das Capitulare de villis anordnete, ,,wo eineStelle sich befunden haben sollte, die geeignet ist, um eine Pflanzung anzule­gen, da soll man eine Pflanzung anlegen, und nicht zulassen, daß die Felder wieder vom Wald bewachsen werden".

Grenzen zur Sachsenzeit (Die eingetragenen Ortsnamen sollen nur der Orientierung dienen.)

Diese Maßnahme und nicht zuletzt die zu dieser Zeit einsetzende neue Bearbeitung der Felder sorgten dafür, daß die zunehmende Bevölkerung ausreichend ernährt werden konnte und nicht die junge Generation zur Auswande­rung gezwungen wurde. Die Bauern betrieben nicht mehr die Feld-Gras-Wirtschaft, bei der Acker und Weide von Jahr zu Jahr wechselten, sondern arbeiteten nach der Dreifelderwirtschaft, bei der alljährlich ein Ackerstück brach lag, eins mit Sommergetreide und eins mit Winterkorn bestellt wurde.

Damals ist auch die Urzelle unseres Dorfes - villa Bodenrod - entstanden. Sicher lag das erste Gehöft, das in der Urkunde von 980 schon als stattlicher Besitz beschrieben wird, an der gleichen Stelle wie das spätere Rittergut. Wie der erste Bau dieses Wohnsitzes ausgesehen hat, wissen wir nicht. Wir müssen annehmen, daß er als Verbindung von Wohn- und Wehrbau in seiner ersten Ausführung in landesüblicher Weise aus Holz errichtet war. In der mittelalterlichen Welt gab es zwei Rechtsbegriffe, die heute weithin unbekannt sind, ohne die aber die landesherrliche Rodungsarbeit nie hätte durchgeführt werden können: Königsgut und Grundherrschaft.

Neben dem persönlichen, ererbten Besitz, dem Hausgut, hatten die Könige alle siedlungsfreien Waldflächen als Königsgut in Besitz. Die Waldungen der freien Bauern gehörten wie alle Teile der Allmende einer Markgenossenschaft (Wald-Wasser-Weide) zum Gemeineigentum und waren für jedermann zugänglich. Die Waldungen im Königsgut dagegen wurden zu Bannwäldern, über die der König allein verfügte. Das Wort ,,Bann" bedeutete im weltlichen und kirchlichen Recht des Mittelalters die Befugnis, dort unter Strafe zu gebieten und zu verbieten.

Grundherrschaft war die Organisationsform des Grundeigentums und der darauf seßhaften unfreien Bevölkerung. der Hörigen. Das waren Dienstleute, die als Zubehör des Bauerngutes galten. Wurden sie zur Urbarmachung des Ausbaulandes bestellt, erhielten sie vom König als Anreiz zur Rodung und Siedlung Befreiung von der Hörigkeit und bildeten neben den ,,altfreien" Bauern eine besondere soziale Schicht, die bestimmte, zeitlich wiederkehrende Naturalleistungen an den Grundherrn entrichtete und seiner Gerichtsbarkeit unterstand. Wurden die von ihnen geschaffenen Siedlungen vom Landesherrn an Kirchen, Klöster oder Adelige durch Schenkung übergeben, ging die Grundherrschaft an den neuen Besitzer über.

So wurden auch in der Schenkungsurkunde des Jahres 980 bei der Übergabe an den Grafen Mamecho zwei der auf ,,Bodenrod" lebenden Familien mit ihren Kindern im Vertrag namentlich erwähnt. Dieser neue Besitzer und Grundherr von Bodenrod muß ein einflußreicher Mann gewesen sein, dem die kaiserliche Familie irgendwie zu großer Dankbarkeit verpflichtet war. Denn schon Kaiser Otto 1. hat ihm mit einer Urkunde aus dem Jahre 966 in Quedlinburg mehrere Güter im Derlingo und im Nordthuringo als Geschenk übergeben. Er hat sicher nicht in Bodenrod gelebt, vielleicht es nicht einmal gesehen. Er wird von den in der Urkunde genannten Möglichkeiten der Nutzung ,,es weitergeben oder austauschen oder verkaufen" Gebrauch gemacht haben.

Der in der Urkunde genannte sächsische Gau Derlingo gelangte um 1100 über Lothar von Süpplingenburg und Heinrichi den Stolzen als Erbe an Heinrich den Löwen und war welfisches Hausgut. Nach dem Sturz Heinrichs wurde sein Herzogtum geteilt und unsere engere Heimat gehörte seit 1235 zum Herzogtum Braunschweig-Lüneburg. Nach später erfolgter Teilung des vorerst gemeinsamen Besitzes kam es zu langdauernden Streitigkeiten der beiden welfischen Häuser Braunschweig und Lüneburg um den an der Grenze der beiden Hoheitsgebiete liegenden Hasenwinkel. Fast zweihundert Jahre wechselte die politische Zugehörigkeit dieser alten Gogräfschaft. 1267 fiel der Hasenwinkel an die braunschweigische Linie der Welfen. 1309 nahm Otto der Strenge dem Braunschweiger Herzog das Hasenwinkelgebiet wieder ab. Nach dem Lüneburger Erbfolgekrieg (1371 - 1388) kam das Grenzland Hasenwinkel wieder unter die Herrschaft der Braunschweiger. Als im Jahre 1400 Herzog Magnus von Braunschweig, der Sohn des Herzogs Torquatus, auf dem Rückweg von der Königswahl bei Fritzlar ermordet wurde, verwalteten seine Brüder Heinrich und Bernhard die Herzogtümer Lüneburg und Braunschweig gemeinsam, entschlossen sich jedoch 1428 zu einer neuen Teilung, bei der dann der Hasenwinkel endgültig zu Lüneburg kam.

Gegen Ende dieser nachbarlichen Auseinandersetzungen um den Hasenwinkel - keiner kann heute mehr sagen, was diese kleine Landschaft so begehrenswert machte, daß die fürstliche Verwandschaft so erbittert um diesen Besitz stritt -finden wir die nächste Erwähnung unseres Ortes. Der Stadtarchivar Röhr berichtet in seiner ,,Geschichte der Stadt Königslutter" von einer Urkunde aus dem Jahre 1356, in der es heißt, daß Ernst von Bodenrode eine curia in Lutter zu Lehen habe, ,,in qua inhabitant pannifices". Es kann gar kein Zweifel bestehen, daß dieser Besitzer des Gebäudes im benachbarten Königslutter, in dem Tuchmacher wohnen, hier in Beienrode ansässig war und seinen Familiennamen nach mittelalterlicher Sitte wie auch andere Adelsfamilien von seinem Stammsitz Bodenrode ableitete.

1373 taucht der Name unseres Dorfes, nun als Boyenrode, im Asseburger Urkundenbuch auf. Am 24. Juni dieses Jahres war der Ritter Jordene von Boyenrode Zeuge eines Grundstückhandels, den adelige Herren mit den Ordensleuten aus Süpplingenburg tätigten. Die Brüder Busso und Curd von der Asseburg und Gumprecht von Wanzleben hatten damals dem Ordenskumtur Albrecht von Warberghe und den gemeinen Brüdern des Johanniterordens die Summe von 200 Mark gegeben und dafür von diesem den Zehnten von Groß- und Klein-Frellstedt, Süpplingen und Emmerstedt, sowie einen Hof zu Süpplingen als Pfand erhalten. Die Geldsumme wird in der Urkunde bezeichnet: ,,twe hundert mark Brandeborghes sülvers Helmstiddischer wichte" und sollte den Ordensleuten zum Kauf eines Gutes in ,,Stenem" (Steinum) dienen.

Gografschaften Grevenlah und Hasenwinkel

Über das Schicksal weiterer Herren von Boyenrode ist nichts bekannt. Ob sie sich unter der Hoheit von Braunschweig oder im Fürstentum Lüneburg wohler fühlten ist auch nirgends aufgezeichnet. Verwaltungsgemäß erwarteten sie und auch die anderen untereinander verschwägerten Adelsgeschlechter im ostsächsischen Raum nichts vom Landesherrn. Seit der Zeit Heinrich IV., der in Goslar und auf der Harzburg feste Pfalzen und Burgen als Zentren königlicher Macht gegen die um Vergrößerung ihrer Hausmacht bedachten Adelsfamilien errichtete, war das ostfälische Land der Kern des Widerstandes gegen den König, ein Land der "reinen Lehre vom Recht des Adels".

Eine eigentliche Verwaltung, wie wir sie verstehen, gab es mit ersten Ansätzen nur in den Städten. Im Fürstentum Lüneburg war der Fürst der oberste Richter, der nach seinem Ermessen in allen Angelegenheiten entschied, de sein Land betrafen. Adelige standen ihm als Ratgeber zur Seite. Sie bekleideten noch keine bestimmten Ämter, sondern wurden durch das Vertrauen des Fürsten wegen ihrer Treue und Verdienste je nach Bedarf herangezogen. Von diesen gelegentlichen Ratgebern, die aus den ältesten ritterlichen und meist sehr begüterten Familien stammten, unterschieden sich die Herren, die bestimmte Hofämter innehatten und als Ministeriale im Gegensatz zu dem begüterten freien Adel den Dienstadel bildeten. Im 13. Jahrhundert bildeten die alten nobiles und die Ministerialen das ritterliche Gefolge des Fürsten, das ihn auf seinen Reisen begleitete und ihn beriet. Es gab zwar schon in den Hauptstädten Schlösser oder Burgen, doch waren diese nicht fester Wohnsitz oder Residenz. Das Regieren eines Landes wurde damals wie ein ambulantes Geschäft ausgeübt.

Während der längsten Zeit des Jahres waren Fürst und Gefolge auf Reisen von einem Staatsgut zum anderen. Bei dem Gefolge war auch immer der fürstliche Notar, der oft aus dem geistlichen Stand kam und von kirchlichen Pfründen lebte, die ihm verliehen waren. Er war für die Abfassung aller Urkunden verantwortlich und führte das landesherrliche Siegel. Die Kosten der Hofhaltung soweit sie nicht mit Naturalleistungen befriedigt werden konnten und die Ausgaben der noch nicht durch Hof-, Kanzlei- und Polizeiordnungen geregelten Anfänge einer staatlichen Verwaltung deckten die landesherrlichen Güter und eine jährlich einbezogene Steuer, die ,,ordentliche Bede", deren Höhe der Fürst bestimmte und die alle Untertanen mit Ausnahme der Ritterschaft und der Geistlichkeit zahlen mußten. Zu dieser Steuer kam in Not- und Kriegszeiten als Reichssteuer noch die ,,außerordentliche Bede", die aber im 14. Jahrhundert von den drei Ständen, der Ritterschaft, der Geistlichkeit und den Städten beschlossen und ausgeschrieben wurde.

So waren die Verhältnisse, als im Jahre 1411 das Rittergut Beenrode in den Besitz der Familie von Veltheim kam, die dann fast 400 Jahre lang die Geschichte und Geschicke unseres Dorfes prägte.