Ein neuer Abschnitt in der Entwicklung unseres Ortes begann, als um das Jahr 1890 hier die Suche nach Kali begann. Kali ist die abgekürzte Bezeichnung für Kalisalze. Das sind natürliche Salze, die Kalium enthalten, das nach den Forschungen von Justus von Liebig ein unersetzbarer Pflanzennährstoff ist, der bei Getreide und Hackfrüchten die Ernteerträge wesentlich erhöht.
Als man bei Straßfurt den ersten Salzschacht teufte, um das bisher nur im Salinenbetrieb gewonnene Salz zu gewinnen, stießen die Bergleute, bevor sie das gesuchte Steinsalzlager erreichten, auf bittere, oft bunt gefärbte Salzschichten, die man abräumte, um an das gesuchte Salz zu kommen. Kurz vor der Jahrhundertwende entdeckte man, daß diese bisher unbeachteten Abraumsalze den so wichtigen Pflanzennährstoff Kali enthielten. Die nun vermehrte Suche nach diesen Salzen ließ Massen von erstaunlicher Mächtigkeit finden. Überall wo die geologischen Verhältnisse ein Fündigwerden vermuten ließen, wurden Probebohrungen von wagemutigen Unternehmern, die das Risiko nicht scheuten, durchgeführt. Nach der Entdeckung von Kalisalzlagern in Thiede bei Braunschweig und bei Vienenburg verhandelte der Hauptmann a.D. Castendyk hier in Beienrode mit dem Rittergutsbesitzer Freiherr Leo Knigge und dem Ortsvorsteher Heinrich Schulze als Vertreter der hiesigen Grundbesitzer über die Erlaubnis, in der hiesigen Feldmark Probebohrungen nach
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den Handel kommen, zur Beseitigung der Chlormagnesia fabrikatorisch umgelöst und umkristallisiert werden müssen, zum großen Teil ausgeglichen. Beienrode gehört zu denjenigen Carnallitwerken, die wegen ihrer günstigen Abbauverhältnisse und niedrigen Gestehungskosten, trotz der Unkosten der Fabrikation, neben manchem Kaliwerk, das seine Robsalze, Sylvinit und Hartsalze direkt in den Handel bringen kann, wohl stets wird bestehen können. Mit dieser zukunftsfrohen Prognose ging der Abbau der Schacht- und der umfangreichen chemischen Fabrikationsanlagen rasch voran.
In den zwei Jahrzehnten zwischen 1890 und 1910 erlebte unser Ort eine Bautätigkeit, wie man sie nur in Industriebezirken kennt und wurde zum begehrten Arbeitsplatz für Königslutter und die weitere Umgebung. Schon von weitem zeigten die Fördertürme, das Eisengerüst der Kettenbahn und die vier Schornsteine, dessen höchster 74 Meter in den Himmel ragte, daß die Industrie ihren Einzug gehalten hatte. Beim Beginn der Kaliförderung im Jahre 1900 waren auf dem ca. 45.000 qm großen Fabrikgelände die Anlagen für die Weiterverarbeitung der Rohsalze betriebsbereit und stellten mit großen Lagerschuppen, Laboratorium, Lösestation, Mühlen, Werkstätten, Wiegeplatz, Versandabteilung und Bürogebäuden, die in den kommenden Jahren mit der Ausweitung der Förderung auch eine weitere Ausdehnung erfuhren, die notwendige Ergänzung des bergmännischen Betriebes dar, über den der für diese Landschaft noch ungewohnten Lärm der Förderräder und Maschinen, der Rauch der Schornsteine und nachts in langen Ketten das Licht der elektrischen Bogenlampen lag. Die vor Beginn der Probebohrungen im Jahre 1885 festgestellte Einwohnerzahl von 191 Einwohnern stieg bis 1895 auf 268 und nach Beginn der Förderung lebten hier 1905 schon 504 Menschen Für die benötigten Arbeitskräfte und ihre Familien - 1908 waren 500 Bergleute, Industriearbeiter, Handwerker und Angestellte hier beschäftigt - entstanden ab 1900 zwei Werksiedlungen, die „Kolonie“ und die „Beamtenstrasse“. Dazu kamen später für den Direktor und für leitende Angestellte einige Villen in großen Gärten. Mit diesen Werksiedlungen, die nahe den Industrieanlagen errichtet wurden, entstand, räumlich getrennt vom alten Dorf, als besonderer Ortsteil das ,,Oberdorf". Die nicht hier wohnenden Beschäftigten kamen aus den umliegenden Ortschaften, die meisten aus Königslutter, wohin auch die Anschlußbahn führte, die mit ca. 6 Kilometer Streckenlänge den Güterverkehr und den Transport der dort wohnenden Arbeitskräfte bewältigte und in weitem Bogen die sumpfigen Schunterwiesen umfuhr, um in die Nähe des Bahnhofs Königslutter den Anschluß an die Reichsbahn herzustellen. Schon während der Aufbauzeit des Werkes und erst recht nach Beginn der Förderung begann in Beienrode eine Entwicklung, die sich von der der Nachbarorte wesentlich unterschied. Hier begann damals eine soziale und wirtschaftliche Umstrukturierung, die im übrigen Kreisgebiet erst nach dem 2. Weltkrieg durch den Einfluß des Volkswagenwerkes festzustellen ist.
An Arbeitskräften war kein Mangel. Mit den Bergleuten fuhren recht bald auch Kleinbauern, deren Landbesitz nie recht zum Auskommen reichte und Söhne aus solchen Betrieben in den Schacht ein. Mit dem Werk kam Geld ins Dorf. Für den Bauern gab es manche gutbezahlte Fuhre zu machen und die hiesigen Landwirte profitierten, indem sie durch den direkten Verkauf ihrer Erzeugnisse erstmals von reiner Selbstversorgerwirtschaft auf beschränkte Produktionswirtschaft umsteigen konnten und außerdem noch Einnahmen aus dem Förderzins hatten. Wo sonst im alten Gutsdorf ein kleiner Hökerladen die Bedürfnisse des täglichen Lebens decken konnte zeigten jetzt drei Kolonialwarenhändler, die alle gut verdienten am eindruckvollsten den Umschwung und Aufstieg in Handel und Wandel Backer und Schlachter bauten sich an, und immer größere Bestellungen gingen in die Stadt zum Großhändler Die Gastwirtschaft „Glück auf“ wurde mit einem großen Saal gebaut und der Umsatz an alkoholischen Getränken stieg in den drei Gastwirtschaften ganz beträchtlich.
An der regen Bautätigkeit im Zeitraum von 1895 und 1925, die den Bestand an Häusern von 40 auf 71 erweiterte, waren nicht nur die hier neu gegründeten Geschäfte beteiligt, sondern bald auch im Werk Beschäftigte, die in der ,,Masch", aber zum größten Teil in der Baulücke zwischen Unter- und Oberdorf ihre Häuser bauten, wie Karl Spellig, Wilhelm Täger, Karl Dietzel und Edmund Ködder, der 1911 im Garten des abgerissenen Hirtenhauses sein Haus erbaute.
Infolge der ständig größer werdenden Nachfrage stieg auch die jährliche Fördermenge und mit ihr expandierte auch das Werk mit immer mehr gut bezahlten Arbeitsplätzen, mit denen die an der Grenze des Existenzminimums lebenden Arbeiter ihre wirtschaftliche Lage verbessern konnten und die Möglichkeit zum sozialen Aufstieg hatten.
Während des ersten Weltkrieges konnte der Betrieb mit kriegsgefangenen Russen, Franzosen, Engländern und Kanadiern aufrechterhalten werden. Nach Kriegsschluß schloß sich die Gewerkschaft im Jahre 1922 dem Burbach-Konzern an und beschäftigte ein Jahr später 845 Menschen. Inmitten dieser Konjunkturperiode tauchte 1925 das beunruhigende Gerücht von der Einschränkung der Produktion und einer eventuellen Schließung des Betriebes auf. Niemand wußte etwas Genaues, jeder fühlte sich betroffen, und keiner im Dorf konnte sich unter dem Begriff ,,Rationalisierung", den man jetzt hörte, etwas vorstellen
Nach dem Krieg hatte die deutsche Kaliwirtschaft ihre Monopolstellung in der Welt verloren. Durch die Abtrennung des Elsaß fielen dort bedeutende Lager von Kali an Frankreich. Außerdem waren neue Kalivorkommen in den USA, in Spanien und in der UdSSR gefunden und erschlossen worden. Deutschlands Kalisalze fanden keinen Absatz mehr auf dem Weltmarkt. Die Produktion mußte verringert werden und das Kalisyndikat verteilte die sehr viel kleinere Menge des inländischen Bedarfs auf wenige rational arbeitende Schächte. Im Bereich des nördlichen Harzvorlandes wurden fast alle Werke stillgelegt, und von den 225 Kaliwerken, die es 1920 in Deutschland gab, förderten im Jahre 1927 nur noch 61 Schächte.
1925 begannen die ersten Entlassungen, 1926 waren nur noch 380 Arbeitskräfte hier beschäftigt und am 20. Oktober 1926 standen die Räder auf den Fördertürmen still, waren die Feuer unter den Kesseln gelöscht und die Werkstore geschlossen. Nur wenige der Entlassenen kamen zu anderen Kaliwerken 125 fanden in anderen Industriebetrieben einen Arbeitsplatz. Am 31.12.1928 waren noch 225 ehemalige Arbeiter arbeitslos. Einige abgewanderte Arbeiter mußten, weil ihre Familien noch in den hiesigen Werkswohnungen blieben, von ihren Familien getrennt leben. Von einem gewissen Lebensalter an erhielten die bei der Reichsknappschaft Versicherten eine vorgezogene Altersrente und blieben meistens hier in der Gemeinde, da sie in den Werkswohnungen bleiben konnten. Die erzwungene Abwanderung verursachte einen Bevölkerungsrückgang von 496 im Jahre 1925 auf 381 im Jahre 1933. Da die Alten fast alle in den Werkswohnungen, die sie mietfrei behielten, blieben, kam es zu einer Überalterung und durch das Fehlen der Kaufkraft wirtschaftlich zu Schwierigkeiten in der Geschäftswelt, von der auch die Geschäfte in der Stadt Königslutter nicht verschont blieben.
Wie unvorstellbar groß die Not in den Familien der Arbeitslosen hier im Dorf war, macht eine Notiz in der hiesigen Schulchronik deutlich: „Im Frühjahr 1928 hatte der Kreisarzt bei einer schulärztlichen Untersuchung für fünf Kinder eine Erholungskur im Salzdetfurt beantragt. Davon sind zwei Kinder dort gewesen und nach sechs Wochen gesund und wohl aussehend zurück gekommen. Die drei anderen konnten die für sie dringend nötige Erholungszeit nicht ausnutzen, da ihre Eltern nicht in der Lage waren, die Kosten an Wäsche und Kleidung zu bezahlen.“
1936 wurde das umfangreiche Eisengerüst der Kettenbahn ausgebaut, im Mai 1938 die vier Schornsteine niedergelegt. 1939 war die Einwohnerzahl auf 338 gesunken. Im Februar 1939 kam eine Bergbaufirma aus Essen nach hier, um im Auftrag der Wehrmacht die Schachtanlagen für Lagerzwecke auszubauen.
1942 wurden aber diese Arbeiten eingestellt. Die Wehrmacht lagerte später dort kriegswichtiges Material ein, das 1945 von den Engländern herausgeholt wurde. Bis 1966 wurden die Schachtanlagen als Reserveschacht des Burbach Konzerns durch Pumpen trocken gehalten. Danach wurden die Fördertürme gesprengt und die unterirdischen nicht durch Abraum verfüllten Hohlräume durch monatelanges Pumpen geflutet. Die beiden Schachtöffnungen wurden mit einer Betondecke geschlossen